Heyeröder Familiennamen, 1545-1997

von Andreas Stützer


In den vergangenen Jahrhunderten war das Spektrum der Familiennamen in den eichsfeldischen Orten einem erheblichen Wandel unterworfen. Für den Ort Heyerode im Südeichsfeld soll der Wandel innerhalb der letzten 450 Jahre anhand historischer Quellen aufgezeigt werden.

Wie die kürzliche Entdeckung von Resten älterer Kirchenbauten erbracht hat, besteht der Ort Heyerode nicht erst seit der hochmittelalterlichen Rodungsperiode im 13./14. Jahrhundert, sondern mindestens seit dem 11. Jahrhundert (IFFLAND 1998). Über die im Mittelalter hier lebenden Personen ist allerdings nichts bekannt. Erst die Türkensteuerregister des 16. Jahrhunderts geben Hinweise auf die hier ansässigen Familien. Demnach gab es im Jahr 1545 in Heyerode 50 steuerpflichtige Haushalte und 38 verschiedene Familiennamen (Abb. 1).

Die Zahl der Haushalte blieb in den kommenden Jahren zwar relativ konstant, doch ist zwischen 1545 und 1551 ein auffälliger Wechsel an Namen zu verzeichnen. Dieser war möglicherweise - wie auch in späteren Fällen - durch das Aussterben ganzer Familien infolge einer Epidemie oder Hungersnot und den anschließenden Zuzug auswärtiger Familien bedingt. Immerhin haben sich jedoch bis heute drei der ältesten Namen (Köthe, Böhm, Marx) durchgehend im Ort erhalten (Abb. 2).

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war die Zahl der Haushalte auf über 60 angestiegen, wobei sich auch das Spektrum der Familiennamen deutlich erweiterte. Im Verlauf des 30jährigen Krieges kam es dann - nicht infolge unmittelbarer Kriegseinwirkungen, sondern durch die Pest im Jahr 1626 - zu einer starken Dezimierung der Familien. Von den in den Jahren 1599-1610 erwähnten 40 Namen werden im Jahr 1664 nur noch 18 genannt. Aus der Vorkriegszeit haben sich neben den oben genannten nur zwei weitere Namen (Mainzer, Peterseim) bis heute dauerhaft im Ort erhalten. Die Familie Bauer, die zum ersten Mal 1599 auftritt, dürfte dagegen nicht durchgängig in Heyerode ansässig gewesen sein, da der Name in den Personenverzeichnissen von 1610 und 1664 fehlt. Dies läßt vermuten, daß zwischen den älteren und jüngeren Familien lediglich eine Namensgleichheit, aber keine Verwandtschaftsbeziehung besteht, wie dies bei häufigen Namen (Müller, Meier etc.) oft vorkommt. Ein ähnliches Verschwinden und Wiedererscheinen ist auch bei anderen Namen festzustellen (Abb. 2)

Die durch die Pest wüst gefallenen Häuser und Nutzflächen wurden von neuen Familien besetzt, die noch im bzw. unmittelbar nach dem 30jährigen Krieg nach Heyerode kamen. Heute stellen die Nachkommen dieser Zuwanderer die überwiegende Zahl der Einwohner (Abb. 3). Über die Herkunft der Zuwanderer gibt es zahlreiche Mutmaßungen, die jedoch meist als nicht verifizierbare Legenden angesehen werden müssen. So finden sich in der heimatkundlichen Literatur Angaben, daß die Stützer und die Hohlbein aus Bayern kamen (HEROLD 1957; LAUFER 1957). Diese beiden Namen sind aber bereits im 16. Jahrhundert in der Umgebung Heyerodes nachweisbar. So tritt der Name Stützer schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts im nur 12 km von Heyerode entfernten Mühlhausen auf, wo er sich über viele Generationen erhalten hat, und ebenso früh wird der Name Hohlbein in mehreren Orten des Eichsfeldes genannt, u.a. im Wendehausen und in Diedorf, also den unmittelbaren Nachbargemeinden von Heyerode (Kirchenrechnungen Wendehausen, Diedorf; Kirchenbücher Mühlhausen). Somit ist eine verwandtschaftliche Beziehung zu den Familien aus den Nachbarorten wahrscheinlicher als eine Herkunft aus Süddeutschland. Auch wurden schon mehrfach Versuche unternommen, den Namen Hohlbein in einen Zusammenhang mit der berühmten Augsburger Malerfamilie zu bringen, doch haben sich diese Versuche ebenfalls als nicht haltbar erwiesen. Wenn auch Nachweise für die Herkunft einzelner Familien aus weit entfernten Gebieten - wie der Zengerling aus dem Paznaun-Tal in Tirol - zweifelsfrei erbracht wurden (MAINZER 1959), dürften die Wurzeln der meisten Zuwanderer doch in der Umgebung Heyerodes liegen.

Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts war die Zahl der abgabepflichtigen Haushalte bereits auf über 100 angestiegen. Durch erneute Katastrophen kam es aber immer wieder zu Dezimierungen der Einwohnerzahl. Ein besonders dramatisches Beispiel dafür ist das ‚Große Sterben' im Jahr 1772, bei dem es in Heyerode infolge einer extremen Mißernte und der daraus resultierenden Hungersnot unter den 500 Einwohnern 96 Tote zu beklagen gab (Kirchenbuch Heyerode).

Infolge des Verlustes vieler Ehemänner und Ehefrauen waren die ersten Jahre nach solchen Katastrophen erwartungsgemäß durch vermehrte Heiraten mit Ortsfremden gekennzeichnet. Eine besondere Rolle spielte dabei die Lage des Ortes im äußersten Südosten des katholischen Eichsfeldes. Da der Ort auf drei Seiten von evangelischen Gemeinden umgeben ist, war die Auswahl an Ehepartnern stark eingeschränkt, denn Ehen zwischen Personen unterschiedlicher Konfession wurden nicht gern gesehen und bedurften einer Genehmigung (Dispensation) durch den Bischof in Erfurt. Die neuen Ehepartner stammten daher überwiegend aus den benachbarten eichsfeldischen Dörfern, vor allem aus Diedorf, Katharinenberg, Hildebrandshausen oder Wendehausen. Noch im 19. Jahrhundert ist in Heyerode nur eine Mischehe geschlossen worden (ZEHRT 1893)!

Auch im 18. und 19. Jahrhundert gab es immer wieder Einbrüche in der Einwohnerzahl; dennoch waren die Veränderungen im Spektrum der Familiennamen nun eher gering. Ursache dafür war die insgesamt gestiegene Einwohnerzahl, die zu einem höheren Anteil innerörtlicher Heiraten führte. Eine auffällige Besonderheit dabei war, daß zahlreiche Ehen unter Verwandten 4. und näheren Grades geschlossen wurden (Abb. 4). Dafür war zwar ebenfalls die Erteilung einer Dispensation erforderlich, zugleich blieb aber der Zusammenhang zwischen den alteingesessenen Familien und innerhalb der Glaubensgemeinschaft gewahrt. Diese festgefügten Strukturen begannen sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich aufzulösen.
 

Die Ausbreitung der Heyeröder Familiennamen

Der starke konfessionelle Zusammenhalt, die bäuerlich geprägte Lebenswelt und die geringe Mobilität der vorindustriellen Zeit sind die Ursachen dafür, daß die Familienverbände bis ins 19. Jahrhundert weitgehend geschlossen blieben. Wanderungsbewegungen beschränkten sich in der Regel auf Umzüge in benachbarte Orte des Eichsfeldes. Ein Wanderungsgrund war z.B. die Einheirat in einen anderen Bauernhof. Zwar sind schon für den Beginn des 18. Jahrhunderts Abwanderungen aus Heyerode nachgewiesen, u.a. in die katholischen ‚Küchendörfer‘ rund um Erfurt, in evangelische Orte wie Mühlhausen, oder sie waren durch den Eintritt ins Militär bedingt, doch war die Zahl der frühen Abwanderer gering (Verzeichnis zum Familienbuch von Witterda; Kirchenbücher von Heyerode und Mühlhausen). Erst die Wanderungsbewegungen der letzten beiden Jahrhunderte haben zu einer erheblichen Ausbreitung der Familiennamen und zur Lockerung der bis dahin engen Familienbande geführt. Am Beispiel der Stützer kann diese Ausbreitung während der vergangenen Jahrhunderte aufgezeigt werden (Abb. 5).

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Auswanderung nach Übersee, vor allem nach Nordamerika, allgemein zu. Die Zahl der Auswanderer aus Heyerode war allerdings gering. Zwischen 1844 und 1869 wanderten lediglich 20 Personen nach Amerika aus, aus dem deutlich kleineren Wendehausen dagegen 74 Personen (ROCKSTUHL 1997). Infolge der Industrialisierung nahm zum Ende des 19. Jahrhunderts aber auch die Binnenwanderung zu, wobei vor allem dem Ruhrgebiet und den Textil- und Zuckerfabriken in Ostwestfalen eine zentrale Rolle zukam. Wie stark dieser Wanderungsstrom war, ist u.a. daran zu erkennen, daß es im Ruhrgebiet heute noch zahlreiche Eichsfelder Heimatvereine gibt. Auch aus Heyerode sind mehrere Abwanderungen ins Ruhrgebiet bekannt.

Diese Wanderungsbewegung fand spätestens mit der veränderten politischen Konstellation nach dem 2. Weltkrieg ein vorläufiges Ende. Vor allem der Bau der Mauer machte einen Umzug vom Obereichsfeld im Ostteil Deutschlands in den Westteil fast unmöglich. Daher richteten sich die Wanderungsbewegungen nun auf die Städte in Ostdeutschland. Anlaufziele waren vor allem zentrale Orte wie Mühlhausen, Eisenach oder Erfurt. Seit dem Fall der Mauer ist eine erneute Bewegung Richtung Westen festzustellen, die z.T. auf weiter entfernte Städte, oft aber auch auf die benachbarten Orte in Hessen gerichtet ist. Die Nachkommen der Heyeröder Stützer sind heute in fast allen Bundesländern anzutreffen (Abb. 6). Von wo aus sie im 17. Jahrhundert nach Heyerode gekommen sind, ist dagegen bis heute ungeklärt.

Die Wanderungsbewegungen haben sich aber nicht nur vom Ort weg vollzogen. Auch die Zahl der Familiennamen in Heyerode ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Waren es 1933 noch 85 Familiennamen, so sind es heute bei annähernd gleichgebliebene Einwohnerzahl rund 190, also mehr als doppelt so viele (Abb. 3).
 

Quellen

LHA Magdeburg = Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Außenstelle Wernigerode
StA Würzburg = Staatsarchiv Würzburg

Diedorf:

Heyerode: Mühlhausen: Wendehausen: Witterda:


Literatur


Anmerkung

Bei dem vorliegenden Manuskript handelt es sich um den geringfügig veränderten und um das Quellen- und Literaturverzeichnis ergänzten Text, der in der Ausstellung "Familien im Spiegel der Geschichte des Eichsfeldes" im Eichsfelder Heimatmuseum Heiligenstadt vom 25.9. bis zum 7.11.1999 als Poster gezeigt wurde.


Abbildungen

Abb. 1: Das älteste bislang bekannte Personenverzeichnis von Heyerode ist ein Türkensteuerregister aus dem Jahr 1545 (Ausschnitt), in dem alle abgabepflichtigen Haushalte aufgeführt sind

Abb. 2: Verzeichnis der Familiennamen in Heyerode während der vergangenen 450 Jahre. Heute gibt es in dem Ort, in dem knapp 2.800 Personen leben, rund 190 verschiedene Familiennamen

Abb. 3: Verzeichnis der häufigsten Familiennamen in Heyerode. Die meisten Personen sind Nachkommen jener Zuwanderer, die nach dem 30jährigen Krieg nach Heyerode zogen.

Abb. 4: Für Heiraten unter Verwandten 4. oder näheren Grades war die Erteilung einer Dispensation (Genehmigung) durch den Bischof erforderlich. Dazu wurden vom Pfarrer genealogische Schemata erstellt, die die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Braut und Bräutigam zeigen. Die Schemata sind heute wichtige Quellen für Genealogen, da sie oft vor die Kirchenbuchzeit zurückreichen (Kommissariatsarchiv Heiligenstadt)

Abb. 5: Die Ausbreitung der Stützer aus Heyerode im Eichsfeld und dessen Umgebung während der letzten 2 Jahrhunderte

Abb. 6: Die Verbreitung der Heyeröder Stützer-Nachfahren in Deutschland


Anschrift des Verfassers

Dr. Andreas Stützer
Am Mühlgraben 70
D 95445 Bayreuth
Email: Andreas.Stuetzer@t-online.de


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